Rechtschreib- oder Schlechtschreibreform?
Wir korrigieren nach der neuen Rechtschreibung, aber ...
Ihnen ist sicherlich aufgefallen, daß wir auf unseren Seiten der alten Rechtschreibung folgen. Wenn Sie das abschreckt, lesen Sie bitte etwas über die Gründe, die uns dazu bewegen.
Wenn Sie kein Interesse an unserer Kritik an der Rechtschreibreform haben und nur wissen wollen, ob wir auch nach alter Rechtschreibung Korrektur lesen, so können wir kurz und knapp sagen: Nein, es sei denn, Sie wünschen dies. Andernfalls korrigieren wir streng nach den amtlichen Regeln vom 1. August 2006. Ohne Wenn und Aber! Es wäre aber schön, wenn Sie dennoch weiterlesen.
„Durch die Rechtschreibreform weiß man bei vielen Wörtern gar nicht mehr, wie sie richtig geschrieben werden ...“
Nach wie vor lehnt eine überwältigende Mehrheit der Bundesbürger die neue Rechtschreibung ab (vgl. Akzeptanz der Rechtschreibreform in den verschiedenen deutschsprachigen Ländern), und das sicherlich nicht nur aus Gewöhnung an die alten Rechtschreibregeln. Es gibt sehr rationale Gründe, warum sowohl die Rechtschreibreform von 1996 als auch die vielen Zugeständnisse nachfolgender Revisionen an vorgebrachte Einwände, die schließlich in der zweiten Reform von 2004 kulminierten, auf Ablehnung stoßen. Deswegen werden die neuen Regeln auch jenseits öffentlicher Texte weitgehend ignoriert. Die Rechtschreibreform hat damit nicht zu der vorgeblich angestrebten Vereinheitlichung der Schreibweise geführt, sondern zu einer nie dagewesenen Anarchie. Das ist nur folgerichtig und durchaus legitim, wie das Bundesverfassungsgericht schon 1998 entschied: „Personen außerhalb des Schulbereichs sind rechtlich an die neuen Regeln nicht gebunden; sie sind vielmehr frei, wie bisher zu schreiben.“
Leider können sich Autoren in der Praxis nicht immer auf diese höchstrichterlich festgestellte Wahlfreiheit berufen. Vielleicht sind Sie deshalb besorgt, ob eine Korrektur durch uns zuverlässig nach den „endgültig" seit dem 1. August 2006 mit einer einjährigen Übergangsfrist verabschiedeten amtlichen Regeln durchgeführt wird. Um es noch einmal zu bekräftigen: Wir korrigieren standardmäßig, sofern Sie uns keine anderen Anweisungen geben, streng nach den derzeit gültigen Regeln. Ohne Wenn und Aber!
Auf unseren Seiten aber verfügen wir über das Hausrecht, und so werden Sie hier ausschließlich Texte der bis 1996 gültigen Regeln folgend finden. Das ist sozusagen unsere „Hausregelung“.
Warum wir die Rechtschreibreform ablehnen
Wir lehnen die Rechtschreibreform nicht aus Konservatismus oder anderen irrationalen Gründen ab. Daß sie überhaupt in Szene gesetzt wurde, fand und findet sicherlich seine Berechtigung in nicht immer widerspruchsfreien Regeln der alten Schreibweise. Das Ziel einfacherer und klarerer Regeln wurde aber weitgehend verfehlt, möglicherweise auch aus Gründen eigener wirtschaftlicher Interessen beteiligter Personen und Instanzen:
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Im Laufe der Zeit wurde dank unermüdlicher Forschungsarbeit der Reformgegner immer offensichtlicher, wie mißverständlich Äußerungen, die nach der neuen Rechtschreibung produziert werden, sind. Daß die gesamte Reform unausgegoren ist, war den Schöpfern wohl von Anfang an klar, weswegen sie eine Reihe (von Anfang an widersprüchlicher und schwer zu lernender) Ausnahmeregeln hinzufügten. Durch im Laufe der Jahre hervorgebrachte Einwände der Reformgegner wurde aber erst die gesamte Tragweite der Fehlkonstruktionen sichtbar, worüber auch die Urheber der Reform spätestens dann nicht mehr hinwegsehen konnten, als Tageszeitungen und Zeitschriften mit großer Reichweite wie die BILD, FAZ, Spiegel, Süddeutsche Zeitung, der Rheinische Merkur und andere ihre Absicht erklärten, zur alten Schreibweise zurückzukehren, oder es gar taten.
Das führte letztlich zu noch mehr Ausnahmen und noch mehr Inkonsistenzen, so daß heute niemand mehr einen Überblick hat, warum in einer Sprachsituation die eine, in einer anderen Situation die andere Regel gilt. Man kann die mannigfachen Ausnahmen nur noch unter Ausschaltung der Teile des Gehirns, in denen logisches Denken stattfindet, stur auswendig lernen. Damit wurde das Ziel, die Schreibweise durch Vereinheitlichung zu vereinfachen, verfehlt, und der gegenteilige Effekt ist eingetreten, die Regeln wurden komplizierter, und es herrscht eine willkürliche Vielfalt an alternativen Schreibweisen.
Der Höhepunkt dieser Überarbeitungen und sichtbare Beweis für das Scheitern der Rechtschreibreform ist die Reform von 2004. Nicht ohne Grund werden jetzt wieder viele Schreibweisen der alten Rechtschreibung präferiert. Die Schreibweisen nach der neuen Rechtschreibung vor 2004 (bzw. 2006) sind noch erlaubt, aber nicht mehr erste Wahl.
Doch auch nach diesem öffentlichen Eingeständnis des Scheiterns und vermeintlich vorläufigem Abschluß der Rücknahme ändern sich still und heimlich mit jeder neuen Auflage des Dudens die Rechtschreibregeln. Deswegen kann es auch nicht verwundern, daß nach wie vor bedeutende Meinungsbildner nach ihren eigenen Hausorthographien schreiben, die sich an der traditionellen Schreibweise orientieren (FAZ, junge Welt, deutschsprachige Presseagenturen mit Ausnahme der sda).
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Überhaupt zielte der Ansatz, die Schreibweise zu vereinfachen, immer nur auf den Schreiber ab. Sprache ist aber zweiseitig: neben dem Sprecher gibt es auch noch den Rezipienten. Es ist gerade eine Besonderheit der deutschen Sprache, durch unterschiedliche Schreibweisen (insbesondere Groß- und Kleinschreibung, aber auch durch die Stellung von Kommata im Satz) Gedankengänge möglichst wenig verfälscht durch das Transportmedium Sprache dem Rezipienten zu übermitteln. Durch Generalisierung differenter Gegenstände wird diese Fähigkeit zerstört. Beim Leser bleibt oft ein großes Fragezeichen, was der Autor denn gemeint haben könnte. Der Preis des (vermeintlich) leichteren Lernens ist also der Verlust von Ausdrucksfähigkeit.
Verschwiegen wird dabei bewußt, daß sich Rechtschreibkenntnisse nicht allein durch Schulunterricht vermitteln lassen. Die wichtigste Grundlage sicherer Rechtschreibkenntnisse war schon immer das Lesen, worüber sich das Sprachgefühl herausbildet, das viel wichtiger als stupides Auswendiglernen von Regeln ist, deren Zweck man nicht erkennt.
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Von Reformbefürwortern wird oft hervorgebracht, sprachliche Differenzierungen über ihre Form seien nicht nötig, weil durch den Kontext einer Äußerung kein Raum für Mißverständnisse gegeben sei. Das ist ein gewichtiges Argument, hat aber zur Prämisse, daß die gleiche Form von Äußerungen in jeder singulären Situation eindeutig ist.
Dem ist oft, sehr oft aber auch nicht so. Es gibt z. B. die sogenannten Homonyme. Eine Untergruppe sind Homographe. Das sind Wörter, die gleich geschrieben werden, durchaus aber eine unterschiedliche Aussprache haben können. „Modern“ ist solch ein Wort, das wegen seiner unterschiedlichen Begriffe auch zwei Einträge im Lexikon hat. In dem Satz „Kommunikation via E-Mail ist modern.“ geht die Bedeutung klar aus dem Kontext hervor (allerdings auch über die Form, da an der Stelle von „modern“ kein Verb stehen darf). Bei einer sprachlichen Äußerung wie „Er trifft den richtigen Ton.“ ist der Sinn ohne genaue Kenntnis der Umstände schon wesentlich schwieriger zu interpretieren. Auch Wörter mit übertragener Bedeutung wie „leidtun“ (bzw. „leid tun“ nach alter Rechtschreibung) und „irregehen“ lassen Platz für falsche Interpretationen. In den Sätzen „Das Unternehmen setzt die gewinnbringenden Boten in Kassel und neuerdings auch in anderen Städten ein.“ und „Das Unternehmen setzt die Gewinn bringenden Boten in Kassel und neuerdings auch in anderen Städten ein.“ erschließt sich der Sinn definitiv erst mit der Form.
Zugegeben, Raum für Deutungsirrtümer gibt es auch in der alten Rechtschreibung: „Er ißt den Fisch mit den Gräten.“ Während es dem Leser hier mit seiner Alltags- und Spracherfahrung noch leicht möglich ist, aus den möglichen Relationen des präpositionalen Ausdruckes die (manchmal nur vermeintlich) richtige Verknüpfung auszuwählen, gelingt ihm das bei dem Satz „Er grüßt den Mann mit dem Hut.“ nicht mehr ohne weiteres. Diese Ambivalenz auf Satzebene ist nicht ohne ganz konkretes Wissen um die Aussageintention auflösbar. Jedoch sind diese Fälle weitaus weniger zahlreich als in der Bedeutungsbeliebigkeit der neuen Rechtschreibung.
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Irreführend ist der Hinweis auf fehlende Chancengleichheit im beruflichen Werdegang. Mit erhobenem moralischen Zeigefinger, daß die Herkunft von Menschen an ihrer Schreibweise erkennbar ist und damit Menschen aus weniger privilegierten Schichten benachteiligt werden - was ja keinesfalls zu bestreiten ist –, hängt man der Rechtschreibreform ein progressives Mäntelchen um. Ungleichheit ist aber ein soziales Phänomen, das politisch behandelt werden muß und nicht durch sprachliche Nivellierung.
Der gegenteilige Effekt ist dann auch die Folge. Durch die Nivellierung auf unterstem Niveau werden Kinder aus Familien sozial benachteiligter Schichten für ihr gesamtes Leben auf ihre wenigen von der Schule vermittelten sprachlichen Fähigkeiten eingeschränkt, weil ihnen nicht vermittelt wurde, welchen Reichtum sprachliche Fähigkeiten sowohl zur Aneignung der Kultur als auch zur eigenen Verwirklichung darstellen, während Kinder aus sozial höhergestellten Haushalten später ihr Sprachvermögen durch teure Weiterbildung verfeinern, was sich natürlich auch in sehr unterschiedlicher Schreibweise manifestiert. Das führt letztlich dazu, daß gerade wegen der Rechtschreibreform die Schreibweise die soziale Herkunft eines Menschen verrät und zu Diskriminierungen führt. Somit wird durch die Rechtschreibreform Ungleichheit von Chancen wesentlich befördert. Richtig ist daher nicht, einfach vermittelbares wertloses Wissen für alle einzufordern, sondern wirklichen Zugang für alle zum wertvollen gehobenen Wissen, das erst wirklich unterschiedliche Augsgangsvoraussetzungen von Menschen mildern kann.
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